Schauspieler Christian Ehrich

53 Schauspielerinnen und Schauspieler kritisieren mit der Protest-Aktion #allesdichtmachen die Corona-Politik - darunter Christian Ehrich vom Staatstheater Kassel. Im Interview erklärt er seine Motivation und räumt Fehler ein.

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Medienwissenschaftler Hörisch über #allesdichtmachen: "Wie kann jemand Kluges so dumm sein?"

Prof. Dr. Jochen Hörisch, Literaturwissenschaftler
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Für die einen war es eine lange überfällige Kritik an den Corona-Maßnahmen, für die anderen ein Dammbruch: Die Aktion #allesdichtmachen, für die prominente Schauspielerinnen und Schauspieler am Donnerstagabend ironische Video-Clips ins Netz gestellt haben, hat eine heftige Debatte ausgelöst. Unter den Beteiligten sind große Namen wie hr-"Tatort"-Kommissar Ulrich Tukur, Meret Becker, Jan-Josef Liefers, Wotan Wilke Möhring und Nadja Uhl. Mittlerweile distanzieren sich immer mehr Unterstützer und ziehen ihre Videos zurück.

Auch Christian Ehrich, Schauspieler am Staatstheater Kassel und in TV-Produktionen (etwa im hr-"Tatort: Murot und das Murmeltier"), hat ein Video veröffentlicht. Hier erklärt er, wieso er weiterhin zu seinem Clip steht und ob er Satire weiterhin für das richtige Mittel der Kritik hält.

hessenschau.de: Herr Ehrich, warum unterstützen Sie die Aktion #allesdichtmachen?

Christian Ehrich: Ich wurde von einem befreundeten Regisseur gefragt. Er schickte mir einige Ideen, ich fand diesen Text für mich interessant und machbar. Das ging mir nicht mit allen Texten so, aber das ist ja auch okay.

hessenschau.de: Sie haben also verschiedene Umsetzungsideen zur Auswahl bekommen?

Christian Ehrich: Als ich gefragt wurde, gab es schon Ideen und sogar Aufnahmen. Ich habe mir ein paar Texte angeschaut und bei zweien hatte ich das Gefühl, das könnte ich vertreten, damit könnte ich mich mit einer überhöhten Rolle in die Öffentlichkeit wagen. Ich fand den Text treffend für unsere Zeit.

hessenschau.de: Können Sie die Aussage Ihres Videos noch mal erklären?

Christian Ehrich: Die Idee des Videos ist, dass es da jemandem gar nicht mehr um inhaltliche Aussagen geht, sondern nur noch um die Außenwahrnehmung: Wie werde ich gesehen. Das ist das einzig Wichtige, hoffentlich wissen alle, ich bin auf der guten Seite. Das Video macht sich über eine Haltung lustig, dass man bloß nicht von der falschen Seite Applaus will. Es geht diesem fiktiven Ich aber nie um die Sache, gar nicht mehr um eine Haltung, sondern nur den Anschein von "richtiger" Haltung. Diese Überhöhung fand ich sehr bezeichnend für unsere Zeit.

Lustigerweise oder tragischerweise zeigt das genau die Situation, in der wir jetzt sind. Beifall von der AfD oder unserem ehemaligen Verfassungsschützer Hans-Georg Maaßen möchte ich persönlich auf keinen Fall! Der Punkt ist: Wenn man inhaltliche Kritik äußert und diese im Nachhinein von rechts beklatscht wird, ist die inhaltliche Kritik dann unberechtigt? Dass ich mich jetzt erklären muss, das Video wie meine Haltung, ist Teil des Problems.

hessenschau.de: Der Inhalt Ihres Videos spiegelt in Ihren Augen also die aktuelle Stimmung in Deutschland?

Christian Ehrich: Wenn man sich jetzt die Kommentarspalten anguckt, ja. Wo führt das hin? Das muss man nicht auf Deutschland beschränken. Das hat viel mit den modernen Medien zu tun. Der Versuch war, wenn ich die Aktion richtig verstanden habe, einen Diskurs zu suchen und zu öffnen. Das ist nicht gelungen, die Fronten verhärten sich eher. Es ging darum, Kritik an beispielsweise der fehlenden Kommunikation über die Corona-Maßnahmen zu äußern. Ich halte zwar viele Maßnahmen für richtig, finde sie aber zu kompliziert. Und es fehlt ein Diskurs darüber, welche Maßnahmen uns wie weit getragen haben und welche Perspektive wir haben. Da werden kaum Lösungen und Ideen angeboten.

hessenschau.de: Finden Sie, Satire oder Zynismus sind in der aktuellen Situation das richtige Stilmittel dafür?

Christian Ehrich: Grundsätzlich finde ich es immer bedenklich, wenn Humor nicht erlaubt sein darf. Bei dieser Aktion konkret muss man aber hinterfragen, ob es funktioniert hat. Ob es zu einem Diskurs einlädt oder auslädt.

Christian Ehrich als "Kreon" in der Inszenierung von "Medea" am Staatstheater Kassel

hessenschau.de: Haben Sie gar nicht mit diesem Echo gerechnet?

Christian Ehrich: Vielleicht war ich da ein bisschen naiv, in dieser Heftigkeit habe ich damit nicht gerechnet. Mit Sozialen Medien beschäftige ich mich eher als Außenstehender. Aber in Wahrheit musste man damit rechnen, es ist ja bewusst überzogene Kritik. Mir haben Freunde geschrieben und gefragt, wie ich da mitmachen konnte. Ich habe es erklärt, so wie Ihnen jetzt, bloß ein bisschen persönlicher. Die verstehen die Aktion nicht so, wie wir sie meinten, und finden das sehr kritisch. Das kann ich total nachvollziehen und ich kann mit ihnen zum Glück noch darüber sprechen.

Ich finde die Möglichkeiten wichtig, die Satire bietet. Das Problem ist allgemein, wenn dadurch jemand verletzt wird oder wenn sich jemand bagatellisiert fühlt in seinem Leid als Opfer dieses Virus. Dafür bitte ich um Verzeihung. Es ging mir nicht darum zu verletzen.

Dass wir beide jetzt miteinander sprechen, ist vielleicht das einzig Positive daran, nämlich dass man über das Thema, über die Maßnahmen spricht, um aus diesem Albtraum in irgendeiner Form gesellschaftlich gesund herauszukommen. Wir sind Künstler und haben dieses Mittel genutzt. Dass diese Kommunikation offen stattfindet, ist wichtig. Trotzdem muss man für bestimmte Dinge auch die Verantwortung übernehmen. Wir sind hier nicht die Opfer, wir haben das freiwillig gemacht.

hessenschau.de: Man könnte aus den Videos schließen, dass das Coronavirus heruntergespielt werden soll.

Christian Ehrich: Ich habe als Ziel der gesamten Aktion empfunden, dass es darum geht, ein bestimmtes Thema, nämlich den Umgang mit den Maßnahmen und ob es die richtigen sind, offener zu debattieren. Ich bin kein Corona-Leugner. Ich weiß sehr genau, dass dieses Virus und seine schrecklichen Folgen existieren.

Der Anstoß ist gelungen, aber der Diskurs nicht. Es hat die Fronten eher verhärtet und Spaltung gefördert. Vielleicht bietet sich, wenn sich die Wogen etwas glätten, trotzdem die Möglichkeit, mehr und besser darüber zu kommunizieren. Das ist mein Wunsch und meine Hoffnung. Ich verstehe die Verletzung und Verunsicherung darüber. Die Videos sind eine Überhöhung der Situation. Dass sie zum Teil als nicht gelungen oder beleidigend empfunden werden, verstehe ich nun sehr gut.

hessenschau:de: Der Gründer der Produktionsfirma, die hinter der Aktion steht, hat in der Vergangenheit in den Sozialen Medien beispielsweise Corona mit der Grippe verglichen. Liegt der Vorwurf da nicht nahe?

Christian Ehrich: Ich habe mich vorher nicht damit beschäftigt, kannte nicht alle Akteure, die die Aktion ins Rollen gebracht haben. Ich weiß nicht, in welchem Spektrum dieser Mann unterwegs ist oder was er wo geschrieben hat. Wenn es so ist, ist es meine Schuld, dass ich das vorher nicht wusste. Dass Corona wie die Grippe ist, ist eine Verharmlosung, die ich niemals teilen würde.

hessenschau.de: Sie sagen, Sie wünschen sich eine offene Debatte. Was sind denn Ihre konkreten Forderungen an die Politik?

Christian Ehrich: Ich muss dazu sagen: Ich weiß es nicht besser. Ich habe das in diesem Fall aber auch nicht behauptet. Ich sehe die Kollegen am Staatstheater Kassel, die seit November nicht spielen dürfen. Ich sehe die geschlossene Gastronomie. Ich sehe, dass viele nicht wissen, wie es weitergeht. Die Virus-Mutanten sind da, das Problem ist noch nicht weg. Es gibt eine Metapher: Wenn ein Flugzeugflügel brennt und und sich alle nur ums Löschen kümmern, gleichzeitig aber der Tank leergeht, dann stürzt das Flugzeug trotz der Löschmaßnahmen ab. Mir fehlt die Perspektive, wie es weitergeht, wie mit den finanziellen Folgen umgegangen wird.

hessenschau.de: Was erwarten Sie dabei von den Medien? Auch die Berichterstattung wird in den Videos kritisiert.

Christian Ehrich: Ich höre sehr gerne den Podcast von Christian Drosten. Die Schlagzeilen, die daraus abgeleitet werden, mag ich dagegen nicht. Der R-Wert ist intellektuell mit einfachen Schlagzeilen nicht zu begreifen. Man müsste damit klüger umgehen, aber man will damit Zeitungen verkaufen und Klickzahlen erreichen.

hessenschau.de: Die A-Riege der deutschen Schauspielerschaft unterstützt die Aktion, darunter auch viele "Tatort"-Kommissare. Wollen Sie Sprachrohr sein für die Branche und die, denen es finanziell schlechter geht?

Christian Ehrich: Ich glaube, deswegen sind diese vielen Leute zusammengekommen. Ich habe viele kritische Äußerungen, aber auch viel Zuspruch von anderen Künstlern gelesen. Das war das Ziel: eine breite Gruppe aus diesem Medium aufzustellen, die versucht, auf die Kulturschaffenden aufmerksam zu machen. Da geht es nicht nur um Schauspielerinnen und Schauspieler, sondern die ganze Branche.

Es wäre ein bisschen einfach, die Aktion zu kritisieren, weil die Leute, die da mitmachen, gut verdient haben in ihrem Leben. Ich verstehe, dass man diese Aktion oder einzelne Videos nicht gut findet. Das ist legitim. Es hätten aber nicht 53 Leute mitgemacht, die Reaktion wäre nicht so heftig, wenn es nicht ein kleines Vakuum an pluralistischem Austausch gäbe, wie wir weiter verfahren.

hessenschau.de: Haben Sie eine Idee, wie wir den gesellschaftlichen Diskurs wieder verbessern können?

Christian Ehrich: Man kann der Aktion vorwerfen, dass sie das, was sie kritisiert, selbst angefeuert hat. Das ist bis jetzt zumindest so passiert. Ich habe keine Lösung. Ich finde nur, das einzige, was da hilft, ist das, was wir gerade machen: darüber reden. Vielleicht ist es wirklich nicht der Zeitpunkt für Satire und Polemik, sondern für sensibles Miteinander. Twitter, Facebook und Instagram helfen dabei nicht.

Diskurse müssen wahrscheinlich immer etwas schmerzhaft sein. Aber es ist schwer geworden, dabei nicht verletzt zu werden. Ich verstehe, dass sich viele Leute dem nicht mehr aussetzen wollen oder sich in eine Ecke gedrängt fühlen. Vielleicht ist es naiv, sich zu wünschen, dass alle wieder miteinander sprechen. Aber ich empfinde es als wichtig.

hessenschau.de: Mit dem Kenntnisstand von heute - würden Sie sich nochmal an der Aktion beteiligen?

Christian Ehrich: Ich stehe zu dem Video, das ich mit verfasst habe, weil es eine Situation und mich selbst in dieser überhöhten Form auf den Arm nimmt. Ich würde aber gucken, wie ich verhindern kann, dass sich Leute dadurch bagatellisiert, schmerzhaft erinnert oder einfach veräppelt fühlen. Ob mir das gelingen würde, weiß ich nicht. Ich würde wieder zur Verfügung stehen, kritischen Diskurs zu fördern, mich aber vorher besser informieren. Kunst ist immer ein Risiko, Kunst kann immer scheitern.

Die Fragen stellte Anna Lisa Lüft.

Sendung: hr-iNFO, 24.04.2021, 12.15 Uhr