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#allesdichtmachen-Aktion Ahnungslose Agenten und Skripte für die Akteure? Was wir über die Entstehung des Promi-Furors wissen

#Allesdichtmachen-Aktion von 50 Schauspielern löst Diskussionen aus
Sehen Sie im Video: #Allesdichtmachen – Geteilte Reaktionen auf die Aktion von Jan Josef Liefers & Co. Videoquelle: RTL.de
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Überraschte Agenten und Absprachen "unter der Hand": Zur Entstehung der #allesdichtmachen-Aktion werden immer mehr Details bekannt – auch zu den angeblichen Machern und Köpfen hinter der Kampagne.  

Eines hat die Aktion #allesdichtmachen fraglos erreicht: Die mehr als 50 Protestvideos deutscher Film- und Fernsehschauspieler:innen gegen die Corona-Politik der Bundesregierung erregen enorme Aufmerksamkeit. Das Echo auf die ironisch-satirischen Clips indes gefällt immer weniger Beteiligten. Denn während neben Schauspielkollegen:innen auch der Bundesverband Schauspiel (BFFS) sowie der Deutsche Bühnenverein – teils entsetzt – reagierten, feierten Querdenker und Corona-Leugner wie auch Rechte und Verschwörungsideologen sie geradezu ab.

Wohl diese Resonanz gepaart mit Shitstorms ließ mehrere Promis noch am Freitag zurückrudern. "Wenn ich damit rechten Demagogen in die Hände gespielt habe, so bereue ich das zutiefst", schrieb Heike Makatsch auf Instagram. Auch habe sie niemals das Leid der Corona-Erkrankten und ihrer Angehörigen schmälern oder sie mit ihrem Beitrag verletzen wollen. Dazu postete sie den Hashtag #womöglichgescheitert. 

Agenten mehrerer Künstler von Aktion überrascht

Auch Jan Josef Liefers reagierte auf die Kritik. Die ihm vorgeworfene Nähe zu Querdenkern weise er "glasklar zurück", twitterte der "Tatort"-Schauspieler noch in der Nacht auf Freitag und führte aus: "Es gibt im aktuellen Spektrum des Bundestages auch keine Partei, der ich ferner stehe, als der AfD. Weil wir gerade dabei sind, das gilt auch für Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker, Corona-Ignoranten und Aluhüte. Punkt." 

Im Laufe des Freitags gingen zudem Meret Becker, Ken Duken – der an späterer Stelle noch einmal Erwähnung findet – sowie Kostja Ullmann auf Distanz. Kunst müsse Fragen stellen können, sagte Becker auf Instagram. "Aber diese Aktion ist nach hinten losgegangen." Sie werde das Video runternehmen lassen. Auch Ullmann wollte seinen Clip zurückziehen. Einige Stunden später räumten Ulrike Folkerts und Richy Müller ein, einen Fehler begangen zu haben. Auf der Aktionshomepage waren am Samstagnachmittag (Stand: 16 Uhr) nur noch 37 der einst 53 Videos verfügbar, die anderen fehlten.

Womöglich hatten die Schauspieler:innen tatsächlich nicht mit derart heftigen Reaktionen gerechnet. Genauso überrascht wurden jedoch auch einige Agenten der Künstler. Gleich mehrere von ihnen sagten dem stern, von der Aktion erst kurz vorher erfahren zu haben, in einem Fall gar erst wenige Stunden vor Veröffentlichung. Auch Anfragen für eine Zusammenarbeit gingen demnach teilweise völlig an den Agenten vorbei. Andere gaben an, dass nie klargeworden sei, worum es bei der Kampagne eigentlich gehen sollte. Absprachen seien "unter der Hand" gelaufen, drückte es ein Agent aus, der anonym bleiben wollte. 

Katzmarczyk für alle Agenten ein Unbekannter

Laut Impressum steckt hinter der Aktionshomepage die in München ansässige und eigenen Angaben zufolge auf die Entwicklung von Projekten für Bildschirm und TV spezialisierte Firma Wunder am Werk GmbH. Als deren Geschäftsführer ist im Handelsregister ein Mann namens Bernd K. Wunder eingetragen. Der Name ist im Impressum auch unter dem Punkt "Verantwortlich für den Inhalt" angeführt.

Gemeinsame Recherchen des stern und RTL News ergaben, dass es sich bei dem Mann um Bernd Katzmarczyk handelt, der im Netz mal mit, mal ohne den Zusatz "Wunder" auftritt, etwa als Bernd Wunder. Seinen Profilen in Berufsnetzwerken zufolge arbeitet Katzmarczyk seit Jahren im Bereich der Bewegtbild-Produktion. Den Recherchen zufolge gründete er 2003 gemeinsam mit dem bereits erwähnten Schauspieler Ken Duken die Produktionsfirma Grand Hotel Pictures, die neben Werbespots auch Kurzfilme und Musikvideos produziert. Unter anderem ließ sich eine Zusammenarbeit mit dem Musiker Tim Bendzko im Jahr 2013 nachverfolgen wie auch eine mit dem Rapper Bushido, für den Katzmarczyk 2010 bei einem Musikvideo Regie führte.

Als Kinos im vergangenen Jahr wieder schließen mussten, gründete Katzmarczyk das Unternehmen Cine.Box, das laut Eigenangaben auf das Blockchain-basierte Streaming von Filmen spezialisiert ist. Im Januar diesen Jahres übertrug die Firma das Filmfestival "Max Ophüls Preis", das das saarländische Wirtschaftsministerium für den Aufbau der Streaming-Plattform mit 56.000 Euro bezuschusste. Für die vom stern für Statements angefragten Agentinnen und Agenten war Katzmarczyk unterdessen ein völlig Unbekannter.

Katzmarczyk ließ telefonische Kontaktversuche wie auch per Mail zugesandte Fragen des stern unbeantwortet, gegenüber "Spiegel Online" und "Focus Online" bestätigte er indes, hinter der Aktion zu stecken. In der Kampagne habe man bewusst "Stilmittel der Übertreibung, der Satire, der Ironie und der Übertreibung" gewählt, "um Gedankenanstöße zu geben", wird der 46-Jährige vom "Focus" zitiert. Allen Beteiligten läge nichts ferner, als mit Verschwörungstheoretikern, Reichsbürgern und Corona- und Pandemieleugnern in eine Ecke gestellt zu werden, wehrte sich Katzmarczyk gegen die Kritik. 

Dem Denken der Querdenker-Szene nicht abgeneigt?

Ihm war genau das im Netz unterstellt worden. Bereits kurz nach Veröffentlichung der Videos machten von ihm auf Instagram getätigte Äußerungen die Runde und mit ihnen der an die Schauspieler:innen gerichteter Vorwurf, sich blauäugig mit einem dem Gedankengut der Querdenkerszene zumindest nicht abgeneigten Produzenten zusammengetan zu haben. Tatsächlich fanden sich unter den sechs abgesetzten Beiträgen des seit Freitagnachmittag nicht mehr zugänglichen Accounts Aussagen, die die Anschuldigungen zumindest nicht entkräften.

Unter anderem bezeichnete Katzmarczyk im Mai 2020 Befürworter eines Teil-Lockdowns als "Maskenknappen", um anschließend den schon damals widerlegten Vergleich der Grippe mit dem Coronavirus zu ziehen. Im Juli 2020 kommentierte er eine von SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach im TV getätigte Aussage zu möglichen Infektionen in Kinos mit den Worten: "Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Klappe halten." 

Im Folgemonat postete Katzmarczyk ein Bild von zwei Kindern in einem thailändischen Kindergarten, die in eigenen, durch Folie abgetrennten Bereichen spielen und dabei eine Schutzmaske tragen. Sein Kommentar: "Jeder der sich an dieser Panikmache beteiligt ist daran Schuld! Der Ausdruck Coronazi ist somit absolut gerechtfertigt." Mit dem Begriff "Coronanazi" diffamieren Pandemie-Leugner häufig Menschen, die vor den Gefahren des Virus warnen und die Maßnahmen der Regierung unterstützen. Instagram versah das Posting mit einem Faktencheck-Hinweis zu Covid-19.

Gegenüber dem "Focus" räumte Katzmarczyk ein, das Coronavirus anfangs verharmlost zu haben. "Das hat sich geändert. Ich halte Corona mittlerweile für eine gefährliche Krankheit", wird er zitiert. 

Regisseur Brüggemann soll Skripte getextet haben

Ebenfalls eine Macherrolle bei #allesdichtmachen scheint Regisseur Dietrich Brüggemann gespielt zu haben. Brüggemann ist der einzige Nicht-Schauspieler mit eigenem Video – und laut Aussage des Schauspielers Hans-Jochen Wagner zumindest für einige vorgetragene Texte inhaltlich verantwortlich. "Ich kann nicht für alle sprechen, aber bei einigen sind das gar nicht ihre eigenen Texte – die hat der Regisseur Dietrich Brüggemann geschrieben. Und der hat das auch inszeniert", sagte Wagner dem stern. Er wisse von einigen, dass ihnen Skripte zugeschickt worden seien. Zudem sehe er an der aufwendigen Art der Videos, "dass sie nicht spontan entstanden sind. Sie wurden eingeübt." Brüggemann ließ eine Anfrage des stern für eine Stellungnahme bislang unbeantwortet.

Im Netz sah sich der Regisseur angesichts seines Clips besonders scharfer Kritik ausgesetzt. Darin hatte Brüggemann ironisch festgestellt: "Ich meine, nach 75 friedlichen Jahren sind uns doch in Deutschland die Geschichten längst ausgegangen, wir brauchen neue." Brüggemann appelliert deshalb an deutsche Politiker mit den Worten: "Lassen Sie es eskalieren! Nur dann haben wir am Ende spannende Filme."

Kritik der Bildungsstätte Anne Frank

Die Bildungsstätte Anne Frank reagierte am Freitagabend besorgt. Auch auf Brüggemanns Video bezugnehmend hieß es auf Twitter: "Wir haben mehr als genug geschmacklose KZ-Uniformen, Anne-Frank-Vergleiche und Judensterne auf Querdenken-Demos gesehen. Promis, die bei ihrer Kritik jetzt mit NS-Vergleichen operieren, bestärken eine Szene, die ohnehin kaum noch Zurückhaltung kennt."

Brüggemann, der in Beiträgen auf seinem Blog und auch in Postings durchaus in der Querdenker- und Corona-Leugner-Szene verbreitete Narrative nutzt, verteidigte sich und die Aktion – zeitlich noch vor der Kritik der Bildungsstätte Anne Frank – in gleich mehreren hintereinander abgesetzten Tweets. In einem hieß es: "Ich könnte jetzt die üblichen Distanzierungsfloskeln von mir geben, aber vorher schlafe ich vor Langeweile ein. Nazis sind Nazis und Selbstverständlichkeiten sind selbstverständlich." 

Kalt ließ ihn der heftigen Gegenwind dann aber offensichtlich nicht. "Irgendwie ein bißchen faschistoid, dieser Mob", schrieb Brüggemann auf Twitter. Zur Deeskalation trug das freilich nicht bei. Die #allesdichtmachen-Aktion dürfte indes auch ohne Brüggemanns Zutun noch einige Zeit Gesprächsthema bleiben. 

Update: Im Laufe des Samstags ist auf der #allesdichtmachen-Homepage eine Stellungnahme erschienen, die Sie hier in voller Länge lesen können

Quellen:allesdichtmachen.de / "Focus Online" / "Spiegel Online" / Instagram / Twitter / Xing / Linkedin / Blog von Dietrich Brüggemann / DPA / AFP


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