Ukraine-Krieg
Die wichtigsten Nachrichten im Newsletter "Blick nach Osten"
Update Die wichtigsten Nachrichten im Newsletter "Blick nach Osten"
HIER GRATIS BESTELLEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Martin Heidegger: Deutsche Angst vor dem Geist der Schwarzen Hefte

Kultur Martin Heidegger

Deutsche Angst vor dem Geist der Schwarzen Hefte

Stv. Ressortleiterin Feuilleton
Lieber nicht zu nahe rangehen an das philosophische Untier! Martin Heidegger bei einer Diskussion in Tübingen 1961 Lieber nicht zu nahe rangehen an das philosophische Untier! Martin Heidegger bei einer Diskussion in Tübingen 1961
Lieber nicht zu nahe rangehen an das philosophische Untier! Martin Heidegger bei einer Diskussion in Tübingen 1961
Quelle: picture alliance / IMAGNO/Franz
Mit jedem nachgelassenen Tagebuch wird der Philosoph Martin Heidegger ein bisschen nationalsozialistischer. Nun soll sein Lehrstuhl abgeschafft werden. Ein Unsinn, gegen den Tausende protestieren.

Manchmal ist es, als wäre Heidegger gar nicht gestorben, sondern heimlich hier geblieben, um den Leuten auf die Nerven zu gehen. Wahrscheinlich spukt sein grundsätzlich eher missgelaunter Geist in irgendeinem Existenzwinkel der Welt herum und freut sich bei jeder neuen Debatte heimlich darüber, dass ihm so viel Aufmerksamkeit zuteil wird. Er freut sich, wenn die Leute seine nachgelassenen Tagebücher, die sogenannten „Schwarzen Hefte“, auf Antisemitismus abklopfen, und er freut sich, wenn sie herauszufinden versuchen, ob seine Philosophie nun in ihrem Wesen nationalsozialistisch ist oder nicht.

Er freut sich, denn er steht immer noch im Mittelpunkt, und außerdem versteht sowieso niemand, was er verstanden hat, nämlich alles.

Der Lehrstuhl, den alle „Heidegger-Lehrstuhl“ nennen

Über das, was jetzt gerade geschieht, würde Heidegger sich allerdings sicherlich nicht freuen, auch nicht heimlich, überhaupt nicht. Sein Lehrstuhl soll nämlich „umgewidmet“ werden. Sein alter Lehrstuhl, den er von seinem jüdischen Lehrer und Mentor Husserl übernommen hatte, in dieser überaus angenehmen Zeit Ende der Zwanzigerjahre. Gerade war „Sein und Zeit“ erschienen, die Jahre des mühevollen Fragens nach dem Wesen des Seins hatten sich endlich gelohnt, sein Name verbreitete sich in Deutschland wie ein Gerücht, zuweilen dachte er an die schönen Stunden mit Hannah Arendt, und zum Denken zog er sich in seine Hütte in Todtnauberg zurück, die seine Frau ihm gebaut hatte. Er war lieber dort als in Freiburg.

Der Lehrstuhl aber, der war eben nun mal in Freiburg und ist es immer noch. „Lehrstuhl 1“ heißt er, ganz schlicht, aber viele nennen ihn einfach „Heidegger-Lehrstuhl“. Einige saßen darauf, nachdem man ihm, Heidegger, 1946 die Lehrerlaubnis wegen seiner nationalsozialistischen Verstrickungen unsanft entzogen hatte. Noch bis Ende des letzten Semesters lehrte in Freiburg Günter Figal, ein kluger Mann und einer der besten Kenner seines Werks in Deutschland.

„Junior-Professor“ – ein Wort wie ein Gestell

Es ist, da muss man Heideggers Geist recht geben, wirklich schlimm, was gerade geschieht: Die Universitätsleitung hat zunächst den Antrag Figals, über das Emeritierungsalter hinaus lehren zu dürfen, zurückgewiesen. Figal hat dagegen geklagt. Und nun soll, anstelle des beinahe einzigen Lehrstuhls in Deutschland, der sich wirklich der Pflege der hermeneutischen Tradition verschrieben hat, eine sogenannte Juniorprofessur eingerichtet werden.

Juniorprofessur, Heideggers Geist musste fast husten, ein Wort wie ein Gestell. Und obendrein eine befristete Stelle. Für Logik und Sprachphilosophie. Der Rektor der Freiburger Universität findet das nicht weiter ungewöhnlich, einfach mal so einen der wichtigsten Lehrstühle der deutschen Geisteslandschaft abzuschaffen; schließlich sei es auch einem sprachanalytischen Juniorprofessor nicht verboten, sich mit Hermeneutik zu beschäftigen, sagte er gerade sinngemäß in einem Interview.

Die Lichtung scheint sich geschlossen zu haben, das Dasein ist in eine Uneigentlichkeit gefallen.

Nicht, dass der Heidegger-Geist etwas gegen Logik als philosophische Disziplin hätte, im Gegenteil, wie den Katholizismus ist er auch sie nie ganz losgeworden. Aber ihn einfach so wegzuverwalten? Die Lichtung scheint sich geschlossen zu haben, das Dasein ist in eine Uneigentlichkeit gefallen.

Der Heidegger-Geist ist geschwächt, er überlegt, nach Frankreich auszuwandern, wo sie ihn mehr zu schätzen wissen. In Freiburg hatten ihn die Bachelor-Studenten, die auf der Suche nach dem Prüfungsbüro verzweifelt durch die Gänge hetzten und dabei leise über fehlende Credit-Points schluchzten, in letzter Zeit ohnehin sehr genervt. Sie liefen einfach so durch ihn hindurch, als hätte er nicht nur keinen Leib, sondern auch keine Gefühle. Und dann hatte sich vor ein paar Monaten sogar Figal ein bisschen von ihm abgewandt, sein Nachfolger. Er wollte nicht mehr Vorsitzender der Martin-Heidegger-Gesellschaft sein, wegen Heideggers nationalsozialistischer Verstrickungen.

Heidegger am Brunnen vor seiner Hütte in Todtnauberg im Schwarzwald 1968
Heidegger am Brunnen vor seiner Hütte in Todtnauberg im Schwarzwald 1968
Quelle: bpk | Digne Meller Marcovicz

In Deutschland ist dem Heidegger-Geist nicht mehr wohl. Er wartet jetzt noch die Petition ab, die dieser junge Bonner Philosoph, Markus Gabriel, für ihn in Gang gesetzt hat. Es haben schon Tausende unterschrieben, sie setzen sich dafür ein, dass der Lehrstuhl erhalten bleibt. Heidegger freut sich wieder ein bisschen, denn es haben wirklich alle mitgemacht, sogar Rüdiger Safranski und Judith Butler.

Mit jedem „Schwarzen Heft“ wird Heidegger ein bisschen nationalsozialistischer

Heideggers Geist soll aus politischen Gründen exorziert werden, wahrscheinlich, weil man Sorge hat, dass es mit den nächsten Bänden der „Schwarzen Hefte“, die dieser Tage erscheinen, endgültig unhaltbar wird, einen Freiburger Lehrstuhl zu erhalten, der sich im Kollektivbewusstsein eben als „Heidegger-Lehrstuhl“ verankert hat, und das, obwohl er auch der von Edmund Husserl war und der von vielen anderen. Wenn sich jetzt also herausstellt, dass Heidegger noch ein bisschen nationalsozialistischer war, als man sowieso schon vermuten musste, dann – ja, was dann?

So viele Leute, wie jetzt Onlineartikel zu Heidegger kommentieren, können den Philosophen gar nicht gelesen haben. Heidegger ist ein geistiger Übervater, mit dem kaum einer etwas anfangen kann.

Es ist ein Irrsinn mit Heidegger und den Deutschen. Die Zertrümmerung der von Heidegger begründeten philosophischen Tradition nennt Markus Gabriel, der Starphilosoph, der die Onlinepetition veranlasst hat, „Ikonoklasmus“ . Das ist sogar noch wahrer, als es sich in der Kürze eines hochschulpolitischen Kommentars in einer Tageszeitung zum Ausdruck bringen lässt. Es ist eine psychoanalytische Soapopera mit nur zwei Protagonisten, Heideggers Geist und den Deutschen, die man sich in diesem Zusammenhang als ein reflexhaft auf alle Vergangenheitsthemen reagierendes Kollektivwesen vorstellen muss. So viele Leute, wie jetzt Onlineartikel zu Heidegger kommentieren, können den Philosophen gar nicht gelesen haben. Heidegger ist ein geistiger Übervater, mit dem kaum einer etwas anfangen kann.

Ein Verhältnis von neurotischer Angespanntheit

Er ist irgendwie da, sitzt in seiner Dachkammer, streift durch die Felder und Wiesen seiner geliebten süddeutschen Schwarzwaldlandschaft, und man bemüht sich, ihm nicht wirklich begegnen zu müssen. Stattdessen verfasst man abwechselnd Lobes- und Hasshymnen auf ihn, die man mit leicht zitternder Stimme vorliest in der Hoffnung, dass der Alte einen nicht heimsucht. Die französischen Philosophen kriegen das besser auf die Reihe, vielleicht, weil die Verwandtschaftsbande dünner sind.

Das Verhältnis dieses Landes zu seinem letzten wirklich wichtigen Philosophen ist von einer Angestrengtheit, die man als neurotisch bezeichnen muss. Die Idee, eine ganze Denktradition zu verbannen, den Lehrstuhl abzuschaffen, den Husserl geprägt hat, und das alles nur, weil man spürt, dass Heideggers Geist mehr mit einem zu tun hat, als einem lieb ist – das ist so dermaßen unsinnig, dass wir die Konsultation eines Parapsychologen empfehlen.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema
KOMMENTARE WERDEN GELADEN